„Orientexpress “Dialog zwischen den Kulturen
Sind die bisherigen Integrationsbemühungen in Deutschland
total gescheitert und der Traum der multikulturellen Gesellschaft
ausgeträumt oder hat sich die überwiegende Mehrheit
der Einwanderer und auch der Muslime in Deutschland gut integriert?
Dies sind nur einige Fragen in der aktuellen Debatte um das Verhältnis
und den Umgang vor allem mit unseren muslimischen Mitbürgern
und Mitbürgerinnen.
Richtig ist, dass sich in Stadtteilen mit hohem MigrantInnenanteil
bereits seit vielen Jahren Entwicklungen vollzogen haben, die
erst durch die aktuellen Ereignisse und dem folgenden medialen
Interesse verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit
gelangt sind. Auch wenn die Debatte nicht immer in der notwendigen
Differenziertheit geführt wird, werden dennoch Probleme beim
Namen genannt, die sich in diesen Stadtteilen schon längst
nicht mehr leugnen lassen:
· Es gibt unübersehbare Desintegrationstendenzen
der arabischen und türkischen Community in Berlin. Insbesondere
Kinder und Jugendliche sind davon betroffen. Zähl- und
sichtbarer Ausdruck dieser Entwicklung sind die schlechten bzw.
fehlenden Schulabschlüsse und die mangelnden beruflichen
Integrationschancen, aber auch die zunehmende Separierung der
unterschiedlichen ethnischen Gruppen in den Schulen und im öffentlichen
Raum.
· Die Abgrenzungstendenzen gehen häufig
mit Selbstethnisierungsprozessen (Überhöhung und Rückbeziehung
auf eigene kulturelle und religiöse Werte, Normen und Verhaltensmuster)
einher, die gegenseitige Ressentiments noch verstärken.
· In Stadtteilen mit hohem MigrantInnenanteil
entwickeln sich teilweise Parallelgesellschaften die neben der
eigenen Infrastruktur auch Orientierungs- und Handlungsmuster
der Herkunftskultur zur Verfügung stellt und somit die
Jugendlichen vom Druck, sich den Anforderungen der hiesigen
Gesellschaft zu stellen, scheinbar entlastet.
· Jugendliche machen in ihren Milieus
die Erfahrung, dass Erfolg und Prestige auch außerhalb
des gesellschaftlich Erlaubten erreicht werden.
· Ein Großteil der Jugendlichen
mit Migrationshintergrund hat das „Gefühl“,
in der hiesigen Gesellschaft nicht akzeptiert zu sein.
· In der Wahrnehmung der Jugendlichen
(und zum Teil auch ihrer Eltern) durch die Umwelt richtet sich
der Focus eher auf die problematischen Verhaltensdimensionen
im öffentlichen Raum. Die Ressourcen der Jugendlichen werden
häufig nicht zur Kenntnis genommen.
Für diese problematische Entwicklung gibt
es mehrere Gründe. Eine wesentliche Ursache ist die prekäre
soziale Lage der meisten MigrantInnen. Da speziell in Stadtteilen
mit hohem MigrantInnenanteil ein Großteil der BewohnerInnen
von Armut, fehlender Bildung, Dauerarbeitslosigkeit und geringen
sozialen Aufstiegschancen betroffen sind, wird dies nicht mehr
als individuelles Schicksal empfunden sondern es werden gemeinsame
Deutungen und Bewältigungsformen entwickelt, die sich immer
mehr vom gesamtgesellschaftlichen Konsens entfernen. Diese Separierung
hat sich durch das weltpolitische Geschehen seit dem 11.September
(Irakkrieg, Internationaler Terrorismus) und durch die damit
einhergehenden öffentlichen Debatten (Islamismus, Leitkultur
etc.) noch rasanter entwickelt und letztlich dazu geführt,
dass sich seitens der Mehrheitsgesellschaft Ängste und
Ressentiments gegenüber muslimischen Zuwanderern verstärkt
haben. Seitens der arabischen und türkischen Einwanderer
hat das Gefühl, nicht nur abgelehnt, sondern nun auch als
kollektive Bedrohung empfunden zu werden, vermehrt zum Rückzug
auf Religion und Tradition geführt.
Um die etnischen, religiösen und sozialen
Grenzziehungen zu überwinden wird es notwendig sein, dass
sich beide Seiten auf konkrete Regeln im Umgang auf der Grundlage
von Menschenrechten und Grundgesetz verständigen. Dies
kann allerdings nicht ausschließlich durch einseitige
Forderungen der Mehrheitsgesellschaft nach verstärkten
Integrationsbemühungen seitens der MigrantInnen erreicht
werden. Vielmehr geht es u.E. darum, einen Dialog in Gang zu
setzen, der das Wissen und die Akzeptanz von unterschiedlichen
Lebensmodellen, gegenseitiges Verständnis im Alltag aber
auch neue Gemeinsamkeiten fördert.
Das Projekt „Orientexpress“ will
hierzu einen Beitrag leisten. Unter dem Motto „miteinander,
nicht übereinander reden“ entwickelt das Projekt
Angebote, die sich am Bedarf der jeweiligen Sozialräume
orientiert. Grundlage der Bedarfsermittlung sind jahrelange
Erfahrungen in Stadtteilen mit hohem Anteil an MigrantInnen.
Das Angebot
1. Projekt- und Dialogtage an Schulen
Neben Informationsveranstaltungen für LehrerInnen
zu Themen wie z.B. Islam versus Islamismus, kulturelle und religiöse
Wertesysteme, sollen in Unterrichtseinheiten bis hin zu Projektwochen
zu Themen wie z.B. ethnische und religiöse Unterschiede
und Gemeinsamkeiten, oder gegenseitige Vorurteile gearbeitet
werden.
2. Mobile Information und Beratung
Auch wenn MigrantInnen in Deutschland über
Sateliten-TV-Sender, Internet und importierte Zeitungen ein
vielfältiges Informationsangebot in der Herkunftssprache
zur Verfügung steht, liefern diese Medien, da nicht speziell
für ein in Deutschland lebendes Publikum produziert, wenig
oder kaum Informationen über das Leben von MigrantInnen
in Deutschland. Deshalb sollen über ein mobiles Beratungsangebot
Informationsmöglichkeiten zu Themen wie z.B. was sollte
man wissen um sich in Deutschland zurechtzufinden, wo gibt es
Informationen zu Sprachkursen, zum Aufenthaltsrecht etc., geschaffen
werden.
3. Veranstaltungsreihen zum Dialog der Kulturen
In Gesprächskreisen, Diskussionsveranstaltungen
oder „Palaverrunden“, wird über ethnische und
religiöse Unterschiede aber auch über Gemeinsamkeiten
gesprochen, diskutiert oder gestritten. Die Veranstaltungen
sollen Raum für eine respektvolle Auseinandersetzung öffnen.
Darüber hinaus sollen kulturelle Veranstaltungen und gemeinsamen
Feste dazu beitragen, die Akzeptanz der unterschiedlichen Kulturen
zu fördern.
4. Erleben unterschiedlicher Alltagskulturen
Um das Wissen und das Verständnis für
die unterschiedlichen religiösen und kulturellen Lebenswelten
zu fördern, sollen für Schulen, Jugendfreizeit-einrichtungen,
oder interessierte Menschen verschiedene „Kiez-Kultouren“
z.B. zu Moscheen und Kirchen, zu arabischen und türkischen
Vereinen und Unternehmen organisiert werden.
5. Interkulturelle Konfliktvermittlung
Bei interkulturellen Konflikten im Sozialraum
können die ProjektmitarbeiterInnen zwischen Jugendlichen,
Nachbarn, Anwohnern und Gewerbetreibenden unterschiedlicher
Herkunft vermitteln. Durch die Initiierung von kommunikativen
Arrangements können nicht nur Konfliktsituationen im Sozialraum
moderiert und entschärft sondern teilweise auch eingeschliffene
Wahrnehmungs- Einstellungs- und Verhaltensmuster punktuell abgebaut
werden.